Warum ADHS so oft missverstanden wird

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) gehört heute zu den am meisten missverstandenen neurobiologischen Störungen überhaupt. Obwohl Millionen Menschen weltweit betroffen sind, kursieren unzählige Mythen – oft geprägt von alten Vorstellungen, unvollständiger Berichterstattung oder oberflächlichen Social-Media-Darstellungen.

In diesem Blogpost räumen wir mit den 8 häufigsten Missverständnissen über ADHS auf – klar, verständlich und evidenzbasiert. Egal ob du selbst betroffen bist, jemanden kennst oder einfach neugierig bist: Hier bekommst du die wichtigsten Fakten.

1. „ADHS heißt, man kann sich gar nicht konzentrieren.“

Falsch.
Menschen mit ADHS haben kein generelles Konzentrationsproblem – sondern ein Problem mit der Steuerung ihrer Aufmerksamkeit.

Warum das ein Missverständnis ist:

  • ADHS betrifft die Regulation, nicht die Fähigkeit an sich.

  • Betroffene können sich extrem intensiv auf Dinge konzentrieren, die sie spannend finden.

  • Dieser Zustand wird Hyperfokus genannt – stundenlange, tiefe Konzentration ist oft möglich.

  • Schwieriger ist es, die Aufmerksamkeit auf Aufgaben zu lenken, die langweilig, repetitiv oder ohne Belohnung sind.


2. „Nur Kinder haben ADHS.“

Falsch.
ADHS ist keine Kinderstörung, sondern eine lebenslange neurobiologische Entwicklungsstörung.

Was wirklich stimmt:

  • ADHS bleibt oft bis ins Erwachsenenalter bestehen – viele merken es erst mit 20, 30 oder 40.

  • Symptome verändern sich mit dem Alter:

    • weniger körperliche Hyperaktivität

    • mehr innere Unruhe

    • Reizüberflutung

    • emotionale Dysregulation

    • Prokrastination und Zeitblindheit

  • Viele Erwachsene waren als Kind unauffällig oder gute Kompensierer.

3. „Menschen mit ADHS sind faul oder unmotiviert.“

Falsch.
Dieses Vorurteil ist eines der schädlichsten – und hat nichts mit der Realität zu tun.

Der wissenschaftliche Hintergrund:

  • ADHS betrifft das Belohnungssystem im Gehirn.

  • Dopamin spielt eine entscheidende Rolle bei Motivation, Antrieb und Interesse.

  • Aufgaben ohne unmittelbare Belohnung fühlen sich für Betroffene unverhältnismäßig schwer an.

  • Das hat nichts mit Faulheit zu tun – sondern mit Neurochemie.


4. „ADHS ist schlechte Erziehung oder fehlende Disziplin.“

Falsch.
ADHS entsteht nicht durch Erziehung, Umfeld oder Disziplin – sondern ist eine genetisch beeinflusste neurologische Funktionsstörung.

Was das bedeutet:

  • Eltern, Lehrer oder Betroffene selbst haben daran keine Schuld.

  • Struktur und Unterstützung können helfen, ersetzen aber keine Therapie.

  • ADHS zeigt sich unabhängig davon, ob ein Kind liebevoll, streng oder nachlässig erzogen wurde.

5. „Alle mit ADHS sind hyperaktiv und laut.“

Falsch.
Es gibt unterschiedliche ADHS-Subtypen, die sehr verschieden aussehen können:

Die drei Subtypen:

  1. Unaufmerksamer Typ (ADD)

    • ruhig, verträumt, introvertiert

    • wird sehr häufig übersehen

  2. Hyperaktiv-impulsiver Typ

    • klassisches Bild: zappelig, unruhig, impulsiv

  3. Kombinierter Typ

    • Mischung aus beiden Bereichen

Warum vor allem Mädchen übersehen werden:

  • Mädchen zeigen häufiger den unaufmerksamen Typ.

  • Sie fallen weniger stark auf und kompensieren oft durch Perfektionismus.

6. „ADHS ist überdiagnostiziert oder nur eine Mode-erscheinung.“

Falsch.
Die Diagnosezahlen steigen – weil endlich besser erkannt wird, was lange übersehen wurde.

Die Realität:

  • ADHS wurde über Jahrzehnte unterdiagnostiziert, besonders bei Frauen und Erwachsenen.

  • Social Media führt dazu, dass mehr Menschen Symptome erkennen und sich testen lassen.

  • Mehr Aufklärung bedeutet nicht, dass ADHS „erfunden“ wurde – nur, dass man es besser versteht.

7. „ADHS-Medikamente machen ruhig oder betäuben.“

Falsch.
Stimulanzien wie Methylphenidat oder Amphetamine wirken fokussierend, nicht sedierend.

Was Betroffene berichten:

  • Mehr Klarheit

  • Weniger Chaos im Kopf

  • Weniger emotionale Überforderung

  • Bessere Impulskontrolle

  • Gefühl von „endlich ich selbst sein“

Warum dieses Missverständnis existiert:

Von außen wirken Betroffene vielleicht ruhiger – weil das Gehirn weniger gestresst ist, nicht weil sie „ruhiggestellt“ wurden.

8. „ADHS ist nur negativ.“

Falsch.
ADHS bringt Herausforderungen, aber auch eine beeindruckende Palette an Stärken.

Typische ADHS-Stärken:

  • Kreativität & Problemlösungsfähigkeit

  • Begeisterungsfähigkeit

  • Humor und Empathie

  • Schnelllebiges, intuitives Denken

  • Krisenkompetenz

  • Mut, Neues auszuprobieren

  • Hyperfokus als produktive Kraft

Fazit: ADHS verstehen heißt, Menschen verstehen

ADHS ist viel mehr als das Klischee des „zappeliges Kindes“. Es ist eine komplexe neurobiologische Besonderheit, die sich in jedem Lebensalter unterschiedlich zeigt. Wer Betroffene verstehen will, sollte die gängigen Mythen hinterfragen – denn sie erschweren Diagnosen, belasten Beziehungen und schmälern das Selbstwertgefühl vieler Menschen.

Mit Wissen, Empathie und Aufklärung kann ADHS nicht nur besser verstanden, sondern auch als Stärke genutzt werden.

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ADHS Symptome bei Erwachsenen (Fokus auf Frauen*)